Der Schicksalsfluss      - Leben und Sterben mit dem Rhein -

 

Anders als es den meisten Zeitgenossen bewusst sein dürfte, hat der Rhein das Leben unserer Vorfahren wesentlich bestimmt und beeinflusst. Der Rhein war Segen und Fluch im Wechsel. Er gab Arbeit, Nahrung und die Grundlage für den Handel, war aber eben auch eine stetige Gefahr.

 

Auch ein direkter Vorfahr des Seitenbetreibers ist diesem Fluss zum Opfer gefallen: Johannes Schnibben, gen. Lüllen, vom Lüllenhof in Repelen, am  am 12.3.1768 im Rhein ertrunken.

 

Exemplarisch dafür, wie schicksalhaft dieser Fluss war - und im Grunde ist er es ja immer noch - steht hier die Familiengeschichte des Bernd Schürmann, gen. Ruyters, der am 29.8.1740 in Homberg getauft wurde. Am 18.3.1764 schloss er die Ehe mit Itgen Reyners aus Essenberg.

 

Bei der Ahnenforschung bin ich auf dieses besonders tragische Familien-Schicksal gestoßen.

 

Dem Ehepaar waren 5 Kinder vergönnt. Als erstes Kind verzeichnet das Homberger Kirchenbuch Hendrich, der 1764 das Licht der Welt erblickte. 1765 wurde Trintgen geboren, die jedoch 1774 verstarb. Ein weiterer Sohn wurde im Jahr 1767 auf den Namen Conradus getauft.  Es folgte Sophia (1769), die - wie ihre Schwester Trintgen zuvor -  im Kindesalter verstarb und bereits  am 15.10.1771 zu Grabe getragen wurde. Im Juni 1772 stand das Ehepaar erneut am Taufbecken der Homberger Kirche, denn es galt, ein weiteres Mädchen auf den Namen Sophia zu taufen. Doch auch diese zweite Tochter mit dem Namen Sophia verstarb früh am 18.9.1772, also nicht einmal 3 Monate alt. Als letztes Kind des Ehepaares verzeichnet das Kirchenbuch dann Johann, der am 10.11.1774 geboren wurde. Aber auch Johann verstarb im Kindesalter im Jahr 1776.

 

So war es eine recht kleine Familie, die im Jahr 1782 in Homberg lebte und sie bestand folglich aus Bernd Schürmann, gen. Ruyters, seiner Ehefrau Trintgen und den Söhnen Hendrich und Conradus.

 

Mit dem Namen Schürmann den Beruf des Schiffers zu assoziieren, dürfte vermutlich richtig sein. Mit dieser Berufsbezeichnung finden sich im Homberger Kirchenbuch einige Einträge. Mit einiger Wahrscheinlichkeit dürfte auch Bernd Schürmann, gen. Ruyters diesem Berufsstand angehört haben. Vielleicht war er aber auch Fischer. Am 7.2.1782 ist jener jedenfalls mit seinem Sohn Hendrich auf dem Rhein unterwegs gewesen.  

 

Die genauen Umstände des schicksalhaften Tages sind mir nicht bekannt, doch bekannt ist, dass Vater und Sohn im Rhein ertranken und vom Rhein mitgerissen wurden. Bernd wurde in Wesel beerdigt und Hendrich in Büderich. Idgen Schürmann (oder Ruyters) blieb als Witwe zurück und von ihrer Familie war ihr nur noch  Conradus geblieben, der damals 15 Jahre alt war. 

 

Doch auch Conradus fiel dem Rhein zum Opfer, denn auch er ertrank im Rhein. Fast auf den Tag genau 10 Jahre später, am 3.7.1792 verstarb auch er. Ob Idgen diesen weiteren fürchterlichen Schicksalsschlag auch noch ertragen musste, ist - Stand heute (Ende 2020) - nicht klar, denn das Sterbedatum der Witwe Itgen Schürmann (oder Ruyters) ist unbekannt und vielleicht lebte sie selbst 1792 auch schon nicht mehr. 

Schiffer, Fischer, Fährleute, Treidler und Händler

 

Der Rhein war jedoch natürlich nicht nur eine Bedrohung, sondern eben auch die Lebensgrundlage sehr vieler Menschen.

 

  Treidler

 

 

Gemälde von Wilhelm Schreuer,

Leinpfad vor der Silhouette von Düsseldorf

 

Essenberg, der Geburtsort von Idgen Reyners, war lange Zeit ein bedeutender Verladehafen für Salz. Die spätere Ansiedlung der Chemieindustrie ist keineswegs ein Zufall. Im 20. Jahrhundert wurde im Essenberger Hafen Kohle der Zechen Diergardt  und Mevissen verladen. Es gab einen Fährbetrieb, parallel zum Fährbetrieb in Homberg, zu dem Essenberg erst ab dem 1.1.1907 als Gemeindebestandteil gehörte. Es gab dort Schifferfamlien und Fischer und vermutlich auch Treidler. Allen gab der Fluss Arbeit und den Händlern bot der Fluss, in den auf der gegenüberliegenden Seite die Ruhr mündet, die Basis für einen weitverzweigten Handel. 

 

In Homberg existierten Reeder, die zu beträchtlichen Vermögen gekommen waren, der Handel mit den Binnenschiffern blühte und einige Schiffsausrüster gingen in Homberg ihrem Gewerbe nach. Der Rhein war für diesen Teil der Alt-Grafschaft Moers der Anlass und die Voraussetzung für eine langewährende Prosperität.

 

Aber es gab auch die andere Seite der Medaille - die Heimtücke des Rheins

 

Seit Ewigkeiten hatten sich die Bewohner des Niederrheins der Überschwemmungen des Rheins zu erwähren. Es betraf oft keineswegs nur die unmittelbare Flussnähe, sondern auch die Städte und Orte, die kilometerweit entfernt waren. Moers z. B wurde noch 1926 nach einem Deichbruch vom Rheinhochwasser heimgesucht.

 

Als Friedrich II., König von Preußen rund 160 Jahre zuvor 1763 die Schleifung der oranischen Stadtbefestigung befahl, baten seinerzeit die Einwohner von Moers um die Beibehaltung der äußeren Befestigungswälle als Hochwasserschutz. Erst mit der Verbesserung der rheinnahen Deiche auf ein hinreichend hohes und starkes Maß ließ die latente Gefahr der Überschwemmungen nach. 

 

Eine gewisse Vorstellung von dem Ausmaß der Bedrohung, die ständig vorhanden war, ist mit der Unterseite "Naturgewalten" zu bekommen.

 

Heute ist der Deichverband Friemersheim für die Sicherheit in Sachen Hochwasserschutz in diesem Gebiet verantwortlich. Spätestens aber schon im 13. Jahrhundert hatten die Anrainer begonnen, Deiche zu errichten, denn für dieses Jahrhundert sind die ersten deichrechtlichen Urkunden belegt. Deiche und Dämme fanden sich aber nicht nur an den Ufern des Rheins, so, wie man ihn sich heute vorstellt, sondern auch an den Niederungen seiner Verzweigungen und an seinen Zuflüssen. 

 

Die Famliennamen Dyckschen, Dickmann, oder auch Damschen und in gen Damm, verweisen auf die landschaftliche Umgestaltung des niederrheinischen Raumes, die mit dem Versuch der Beherrschung des ständigen Bedrohung durch den Rhein einhergeht. 

 

Als der Hochwasserschutz noch weit vom heutigen Standard entfernt war, bestand die "Lebensversicherung" in erster Linie auf dem Vorhandensein geeigneter topographischer Gegebenheiten. Die frühesten Siedlungen entstanden auf oder in der Nähe von Donken, von leichten Landschaftserhebungen, die einige Meter höher als die sie umgebenden Felder, Wälder, Wiesen und feuchten Niederungen lagen.

 

Auch diese Landschaftserscheinungen flossen in die Entwicklung von Familiennamen ein: "Germendonk", "Londong", "Hülsdonker", "Averdonk" oder "Bestendonk".

Neben diesen speziellen Landschaftserscheinungen der Donken waren es die Areale, die großflächiger aus der Ebene des Niederrheins "herrausragten". Die hier gemeinten Areale erhielten die doch großzügig euphemistischen Namen, die auf "...Berg" enden. Der Vielzahl der Orte und Städte, die im grafschafter Raum diesen Namensbestandteil haben, lässt den Unbedarften glauben, mit dem Niederrhein sei nicht das reine platte Land gemeint, sondern eine alpine Gegend. 

 

Homberg, Essenberg, Asberg, Rheinberg, Holderberg, Budberg, das deutet doch eher nach Bayern, oder zumindest in die Eifel. Doch ist nicht zu verkennen, wie überaus wichtig, ja existenziell die Möglichkeiten waren, sich vor dem Rhein in Sicherheit bringen zu können. (Wenn man Glück hatte.) Das, was aus sich heutiger Sicht als eine kaum mehr wahrnehmbare Anhebung darstellt, war dem Niederrheiner um ein Vielfacheres wichtiger, als ein jeder Watzmann einem beliebigen Bayern. 

 

Die "Berge" in der Grafschaft sollten also nicht belächelt werden, sondern verstehen sich als  "segensreiche Gipfel", deren Bedeutung für die Vorfahren nicht überschätzt werden kann.

 

Und selbst dann, wenn es gelang, im Falle einer Überschwemmung das eigene Leben zu retten, so waren doch dann oft die Früchte der (meist landwirtschaftlichen) Arbeit in Mitleidenschaft gezogen oder gar gänzlich vernichtet. Ernten gingen verloren und das Vieh war mitunter verendet, Häuser und Stallungen beschädigt, zerstört oder manchmal ganz fortgespült.

 

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Vorsorglich und zum Schutz vor Hochwasserverlusten wurden mancherorts sogenannte "Wasserhäuser" errichtet.

Dort konnte man bei Gefahr sich selbst, das Vieh und die Habseligkeiten in Sicherheit bringen.

Über Jahrhunderte  waren die Bewohner des Niederrheins der Naturgewalt ausgesetzt, die nicht nur aus Hochwassern, sondern auch in Form von Kälteperioden (z. B. "das Jahr ohne Sommer" 1816) oder aus Dürren bestanden. Und das in der meisten Zeit unter den ärmlichsten Bedingungen.

 

 

Für die Zeit vor 1600 vermittelt die nebenstehende Zeichnung eines Hofes aus Bliersheim, gezeichnet von Arnold Mercator (1537 - 1587), Sohn des bekannteren Gerhard Mercator, einen Eindruck der ärmlichen Verhältnisse, unter denen unsere Vorfahren lebten.

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(*Aufnahmen entnommen dem Band: "Rheinhausen am Niederrhein - im geschichtlichen Werden", Friedrich Albert Meyer 1956)