Das Hungerjahr 1740

 

Der strenge Winter 1739 - 1740 blieb nicht ohne Folgen.

 

Europaweit war im vergangenen Winter eine ungeheuerliche und lang andauernde Kälte gewesen.

 

(Auszug aus  dem Bericht des Bauers Gerd Lehmhaus, genannt Freeschen, aus Ostenwalde vom 20. Oktober 1740. Ediert und in modernes Deutsch übertragen von Holger Lemmermann (in: „Auf dem Freien Hümmling, Sögel, S. 254-260)

 

1739/40 herrschte in ganz Europa unerhört strenger und langer Winter. Er war neben jenem von 1607/08 wohl der kälteste im 17. Und 18. Jahrhundert. Die Frostphase erstreckte sich nach einigen Berichten vom 24. Oktober 1739 bis zum 13. Juni 1740. Schon am 27. November1739 wurden in Dresden - 20 ° R. nach Florentiner Skala gemessen; selbst in Spanien und Portugal lag der Schnee Augenzeugenberichten gemäß 10 Fuß hoch. Auf der gefrorenen Themse in London wurde Markt gehalten und ein Ochse gebraten, der große See Windermere in Holland wurde von Hirschen überschritten. Vom 23. Februar bis 1. März 1740 fand auf dem gefrorenen Rhein bei Mainz ein Scheibenschießen statt; am 5. März wurde auf dem gefrorenen Neckar bei Heidelberg ein Brot gebacken; Zuidersee und Sund froren vollständig zu, so dass man zu Fuß hinüberreisen konnte. Noch im April 1740 waren in Deutschland die Brunnen gefroren und im Mai gab es noch viele, starke Schneefälle, besonders am 4.Mai. Der letzte Frost trat erst am 13. Juni in Deutschland auf. 1 Vgl. Wolfgang Behringer: Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung, Göttingen 2005, 

 

Gleich ob Hochemmerich, Kapellen, Moers, Budberg, Vluyn, Moers, Sandford, Binsheim, Baerl, Vierquartieren, Camp, Asterlagen oder wo auch immer, der Winter hat eine große Hungersnot in der Grafschaft ausgelöst. Diejenigen, die auch noch die Verwüstungen des Rheinhochwassers zu erleiden hatten, hatte es noch weitaus schwerer getroffen.

 

In Hochemmerich berief Pastor v. Eysden für den 22.5.1740 eine Consistorialsitzung ein, um die Not der Bevölkerung zu besprechen.

 

Anwesend waren alle Mitglieder, bis auf Herman Heckes, der erkrankt war.

 

Die Diskutanten Jakob Götzen, Wilhelm Bullerman (beide Kirchenälteste), Hendrich Bongard und Hermann Leefkes (beide Kirchenmeister), Hermann Fusten (Diacon) sprachen über den Lebensmittelmangel im Kirchspiel Hochemmerich.

 

Es gab reichlich Anlass für solche Zusammenkünfte. 

 

Den Bauern war viel  Vieh abgesoffen, erfroren, verhungert, notgeschlachtet oder aus Not geschlachtet. Alle Vorräte in diesem unglaublich harten und langen Winter, der über 7 Monate mit Eis, Schnee, Frost und Hochwasser die Menschen geschunden hatte, waren aufgebraucht. Das Saatgut auf vielen Höfen verdorben, verschimmelt oder als das allerletzte Lebensmittel verzehrt und verbraucht. Eine Chance, die Saat zur rechten Zeit auszubringen hatte eh im Jahr 1740 nicht bestanden, da es sogar im Mai noch Frost gab.  Die Ernte von Obst fiel nahezu vollständig aus, da die Obstbäume vom massiven Frost regelrecht gesprengt waren, von den Hochwasserfluten entwurzelt, ab- und fortgerissen oder entastet. Das Acker- und Weideland nicht nur in den Niederungen vom Schwemmland und Sand des Rheins verdorben und das Bodenobst und Wintergemüse unter den angeschwemmten Schichten verschwunden. 

 

Hilfe aus dem Umland war nicht zu erwarten, denn den Menschen dort war es entweder gar nicht besser, oder kaum anders ergangen. Auch im weiteren Umkreis sah es nicht anders aus. 

 

Von Moers aus erging ein Hilfeersuchen an den König im fernen Berlin, an Friedrich II. von Preußen, den man "Friedrich den Großen" nennt, der erst am 31.5.1740 den Thron bestiegen hatte. Jener machte sich dann auch tatsächlich auf den Weg zum Niederrhein, kam dann aber nur bis zum Schloss Moyland, wo er das Wechselfieber auskurierte, an dem er erkrankt war. Bis in die Grafschaft gelangte er (es gibt da widersprüchliche Angaben) wohl nicht. 

 

Es wäre auch zu bezweifeln, dass von ihm aus wesentliche Hilfe hätte geleistet werden können. Denn es gab weit und breit und allerorten in Europa einen gewaltigen Mangel an Nahrungsmitteln. Selbst wenn es die monetären Mittel gegeben hätte (die es nicht einmal gab) auch sie hätten nicht viel ausrichten können, da man Geld nicht essen kann.

 

Die Preise für das geringe Nahrungsmittelangebot zogen mächtig an. 

 

Für manche war das vielleicht schon die Initiation einer späteren Auswanderung nach Amerika.

 

Doch damit zurück zum Pastor von Eysden aus Hochemmerich und dem Bericht , den es hier nicht in der schwierig zu lesenden Wortlaut, sondern als Transscript wiederzugeben gibt:

 

Eröffnet wird der Wortlaut mit dem Verweis auf die schwere Prüfung und Last, mit denen der Herr die Menschen heimgesucht hat. Als Folge dieser Heimsuchung beschreibt von Eysden, dass alle Lebensmittel, sowohl für die Menschen als auch das Vieh, nahezu aufgezehrt seien. Es hungerten beinahe alle und ein jeder erleide Mangel. Es herrsche eine große Teuerung, die der Herr doch bitte abwenden möge. 

Es sei kein Brotkorn für Geld mehr zu bekommen, allerdings gäbe es in Wesel und Geldern Reserven der Majestät.

Aus diesen Beständen beschließt man 25 - 30 Malter Korn aufzukaufen, wenn diese Möglichkeit vom Herrscher eingeräumt wird oder werden sollte oder wurde  (der Text ist hier syntaktisch nicht eindeutig.) Diese Aktion soll dazu beitragen, damit die  Armen nicht verhungern und dieses Korn soll an die Bedürftigen und Mangel Leidenden verteilt wird. 

 

Beauftrag mit dieser Maßnahme werden der Kirchenmeister Herrmann Leefkes und der Diakon Hermann Fusten, die natürlich die Kosten nicht selbst tragen können. Die Kosten dafür sollen der Armenkasse der Kirche im Beisein des gesamten Consistoriums und des Predigers entnommen werden. Die Rechnungslegung obliegt dem Almosenpfleger Hermann Fusten.

 

Not ohne Ende

 

Im Sommer führt von Eysden seinen Bericht fort:

 

Gleich 2 sehr harte Winter seien vergangen und die Hoffnung, das Frühjahr des Jahres 1740 würde erträglicher werden, habe sich nicht erfüllt. Den gesamten Frühling hindurch habe es weiter einen so harten Frost gegeben, dass die Hausschwalben, die aus ihren Winterquartieren an den Niederrhein zurückgekehrt waren, teils aufgrund des Nahrungsmangels, zum Teil aufgrund der Kälte auf den Gassen und auf den Häusern tot aufgefunden wurden.

Die obsttragenden und übrigen Laubbäume hätten erst im Juni zu blühen begonnen. Dann erst, ab dem 3.  Juni, konnte das Vieh, das den Winter überstanden hatte, auf die Weide. Die Ernten begannen, je nachdem, um was es sich handelte, erst im September oder noch viel später. Die Apfelernte, die Pflaumen- und Pfirsichernte fielen aus, da die Früchte nicht zur Reife gelangten, da es bereits am 7. Oktober wieder zu frieren begann. Am 12.10.1740 gab es einen Hagelschlag, der das gesamte Erdreich und alle Haudächer bedeckte. Dieser Frost endete in diesem Jahr auch nicht mehr, vielmehr habe es bereits am 8.11.1740 wieder zu scheinen begonnen.