Strommoers als Beginn? - Eine Hypothese

Das Gut Strommoers, im äußersten Norden des heutigen Gebietes von Moers, nahe der Grenze zu Rheinberg gelegen, ist bereits im Jahr 1003 im Bestandsverzeichnis des Klosters Werden angeführt. 

 

Der Name Strommoers ist unzweifelhaft mit dem damaligen Rheinnebenarm Murse / Moerse / Moersbach, in Verbindung zu bringen und der Hof lag in etwa an der nördlichen Mündung dieses Altrheinarms in den Hauptstrom des Rheins. 


 

Bei der Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich die Grafschaft Moers auf dem Grund der Friemersheimer Schenkung, also innerhalb des Herrschaftsbezirks der Herren von Friemersheim etablieren konnte, muss man dieses Gut mit in Betracht ziehen.

 

Als gesichert gilt bislang, dass die räumliche Urzelle der Grafschaft Moers aus dem Dorfgebilde "Buitenderp" bestanden hat. Doch ist diese Annahme korrekt?

 

Es wird Einigkeit darüber bestehen, dass diese Ortschaft "Buitenderp" ihren Namen erst mit dem Entstehen der Ortschaft Moers, und um etwas genauer zu sein, erst nach der Errichtung der dazugehörigen Befestigung mit Mauern und Wehrgräben erhalten haben kann. Erst ab diesem Zeitpunkt ergab ja die Ortsbezeichnung "Buitenderp" (Außendorf) einen semantischen Sinn. (Das Dorf, außerhalb der Befestigung)

 

Aber trug diese Siedlung "Buitenderp" auch schon zuvor wirklich die Bezeichnung "Moers"? 

Also das Moers, das im Werdener Verzeichnis als solches angeführt ist?

 

Es gibt sehr triftige Gründe für die Annahme, dass dieses nicht so gewesen ist. Sollte dieses der Fall sein, dann stellen sich  weitere Fragen:

 

1. Wie war die eigentliche und richtige Bezeichnung?

2. Wie kam dann, wenn das Buiterderp nicht die Ortsbezeichnung "Moers" trug,  der Ortsname "Moers" - "nach Moers"?

 

Nimmt man sich den Güterbestand des Klosters Werden aus dem Bereich Friemersheim zur Hand, das um 900 erstellt wurde, dann fällt auf, dass sich dort einige Ortsbezeichnungen auffinden lassen, die bislang nicht entschlüsselt wurden.

 

Hier finden sich in der Listung der Urkunde (Urbar 2) # 7 solche Ortsnamen wie:

 

"Anheri" " Gelleron" "Lendighem" "Bladrikshem", für die zumindest Hermann Keußen keine Gegenwartstranskription vorgenommen hat. Mit anderen Worten, für diese Orte sind keine Gebiete unter einem heutigen Ortsnamen bekannt.

 

In der selben Urkunde ist jedoch auch die Ortsbezeichnung "Moers" angeführt und es ist durchaus nicht so sicher, dass damit das Siedlungsgebilde gemeint ist, das man heute als "Buiterderp" bezeichnet. Vielleicht bezieht sich all das, was man in den Werdener Urbaren aus der Frühzeit der Notation (aus der Zeit vor dem Jahr 1160) zu der Ortsbezeichnung Moers findet, immer nur auf das "Gut Strommoers".  Etwas anders ausgedrückt, vielleicht gab es "Moers" (vor 1160) auf dem heutigen Moerser Grund überhaupt noch nicht.

 

Die Namensgebung von Moers (dem heutigen Moers) entspricht durchaus nicht der klassischen Namensherausbildung von Ortbezeichnungen:

 

Unüblich war es nicht, Siedlungen nach den Gewässern zu benennen, an deren Ufern sie lagen und liegen. In aller Regel war das allerdings nur dort der Fall, wo sich die Quelle, die Mündung oder eine Querung befunden hat: (eine Furt oder eine Brücke. Der Anlass, eine Siedlung nach dem benachbarten Gewässer zu benennen, ergab sich bei den Querungsmöglichkeiten dann jeweils dort, wo Handelsrouten entlang liefen, Hellwege vorhanden waren.

 

Sehr anschaulich hat dieses der Historker Dr. Eduard Wildschrey in seinem Aufsatz "Zur Frühgeschichte von Moers" dargestellt.

 

Diesem Aufsatz ist auch die folgende Karte entnommen, die den Lauf des Moersbachs nachbildet, als das Gewässer bei Uerdingen als Abzweig des Hauptstromes des Rheins seinen Anfang nahm. Dort nicht zu erkennen ist jedoch, dass die Mündung des Nebenarms "Moersbach" in den Rhein früher einmal bei Strommoers lag. (Bekanntlich lag Rheinberg am Rhein und die Mündung des Moersbachs in den  Hauptstrom lag -wie erwähnt- südlich von Rheinberg beim Gut Strommoers)

 

Die Zeichnung gibt daher eine Situation, bezogen auf den Moersbach dar, die nach dem Jahr 1165 vorzufinden war, als Rheinberg nicht mehr unmittelbar per Schiff über den Rhein zu erreichen war. (s. Wikipedia --Strommoers - Inspektionsreise des Abtes vom Kloster Deutz)

 

 

 

Für das Gut Strommoers hat das von Dr. Weilschrei definierte "Erfordernis"  einer Quelle, einer Mündung oder einer Querung für eine Ortsbenennung nach dem namensgebenden Flusses - in der Form "Mündung" bis mindestens zum Jahr 1.000 existiert. Da galt dann etwa 150 Jahre (s. o.) später nicht mehr.

 

Anders sieht es für Moers aus! Dort ist oder war nicht die Quelle und auch nicht die Mündung des Moersbachs, der Murse. Eine Siedlung, die irgendwo zwischen diesen Endpunkten liegt, nach dem Wasserlauf zu benennen, an dem sie liegt, ist in der Tat völlig außergewöhnlich, es sei denn, die dritte Qualifikation "Querung" lag vor. 

 

Aus diesen, von Dr. Wilschrey als zwingend angesehenen Gründen schloss jener, Moers, also das heutige Moers, sei ein solcher Ort für eine Querungsmöglichkeit des Moersbachs gewesen. Den in Moers errichteten Wehrturm interpretierte er als Wachtum, der dem Schutz dieser Querung diente. 

 

Diese Kausalverbindung zwischen Ortsnamen Moers, und der damit verbundenen Möglichkeit der Überquerung des Moersbachs ist ein ein Umkehrschluss, die bei ihm zu dem Ergebnis führt, dass Moers an einem Hellweg gelegen haben muss. So sei die Steinstraße ein Teil eines Hellweges gewesen, der von Duisburg über Geldern nach Venlo geführt haben soll. Doch das ist ein Trugschluss gewesen: Moers hat nachweislich nie an einem Hellweg gelegen!

 

Die in dieser Karte zu erkennende Route in Richtung Geldern, dürfte ihre Urheberschaft im Autor des Aufsatzes haben.

 

Die Anbindung von Moers an das überregionale Wegenetz war hochgradig dürftig. Westlich von Moers, ursprünglich vom Mattorn und später vom Neutor ausgehend, sind keine Wege bekannt, die über das regionale Wegenetz zur Bewirtschaftung einiger Höfe hinausgehen. Eine direkte Verbindung Richtung Osten, also in Richtung Duisburg hat auch nicht existiert. Von Moers aus führte ein Weg Richtung Schwafheim, der vom Steintor aus erreichbar war. Dieser Weg nach Schwafheim führte jedoch zunächst nach Osten, um dann - in Höhe der Hopfenstraße nach Süden abzuknicken (ohne eine Abzweigung/Weiterführung Richtung Osten).

 

Die Anbindung von Moers an das überregionale Wegenetz bestand durch den Weg, der Richtung Norden, aus dem Kirchtor hinausführte und bei der Bornheim auf die alte Römerstraße nach Köln und Xanten führte. Eine zweite Anbindung zur Römerstraße wird es in Asberg gegeben haben.

 

Die Annahme, die Motte in Moers habe einem Sicherungszweck zur Überwachung einer Furt durch den Moersbach, als Teil eines Hellweges gedient, entbehrt leider jegliche Plausibiltät. 

 

Das heißt:

Moers - nicht an der Quelle der Murse

Moers - nicht an der Mündung der Murse

Moers - nicht an einer Hellweg-Furt durch die Murse

 

Moers - benannt nach dem anliegendem Gewässer, irgendwo im Nirgendwo am Verlauf des Rheinnebenarms. 

 

An dieser Stelle mach wir einen Wende, zurück zu den Urbaren des Klosters Werden:

 

Bei der Durchsicht des bereits erwähnten Registers ist in der Urkunde #7 der Ort "Murse" erwähnt. Dieses "Murse", also Moers, wurde von Hermann Keussen, dem Verfasser des Urkundenbuches als das Moers identifiziert, das auch heute diesen Namen trägt. Diese Feststellung mag auf den ersten Blick nicht verwundern. Doch wenn man sich vor Augen führt, dass im Grunde der Ort "Moers" zwei mal aufzufinden sein müsste, müsste das verwundern. Schließlich gab es zu jener Zeit Murse, bzw. Moers zwei mal: A. das Moers mit dem späteren Grafenschloss und B. das Gut Strommoers.

 

Nun muss man wissen,

 

1. dass bis zum 13. Jahrhundert beide Areale in gleicher Weise "Murse" bezeichnet wurden. Beide Areale waren homonym.

 

2. dass bis zum Jahr 1003 das Gut Strommoers zum Bestand der Friemerheimer Lehen gehört hat. 

 

Dieses heißt wiederum, dass in dem Fall, in dem das Gut Strommoers bereits um 900 existierte (wovon mit recht großer Wahrscheinlichkeit auszugehen ist), im Güterverzeichnis des Klosters Werden diese Ortsbezeichnung zwei mal hätte verzeichnet sein müssen. 

 

Der erste sichere Nachweis über die Existenz des Gutes Strommoers ergab sich im Jahr 1003. Es liegen beträchtliche 2 Jahrhunderte, die zwischen dem hier mehrfach erwähnten Register und diesem Existenznachweis liegen. Das schließt aber freilich nicht aus, dass dieses Gut auch beträchtlich älter sein kann. 

Im Jahr 1003 ging die Lehenshoheit von Strommoers vom Kloster Werden aus, als Stiftung an das im Jahr 1002 neu gegründete Kloster Deutz  über, verblieb jedoch nicht sehr lange in dieser Lehensherrenschaft. Bereits 1020 wurde die Lehenshoheit vom Kloster Deutz als Schenkung an eine Kirche in Köln  "St. Maria im Kapitol" weitergereicht. 

Zu dem weiteren Besitz von Strommoers ergeben sich aus den Quellen in einem Punkt widersprüchliche Angaben:

 

Nach Wikipedia gelangte das Gut Strommoers 1256 durch Verkauf in das Eigentum des Klosters Kamp. Der hier auszumachenden Widerspruch liegt in der Angabe der Verkäuferin. In der Urkunde aus dem Jahr 1256, die von Konrad von Hochstaden bestätigt wurde, ist in dieser Rolle das Kloster Deutz angegeben, obwohl der zuvor beschriebenen Besitzerschaft ja dann die Kirche "St. Maria im Kapitol" in Köln zu erwarten gewesen wäre. (Demnach muss es -zumindest- einen weiteren Eigentümerwechsel gegeben haben, der -die-  bislang nicht aufgedeckt wurde.)

 

All dieses wirft nun die Frage auf, ob die Identifikationen zu der Ortsbezeichnung "Moers", die bislang stattgefunden haben, korrekt gewesen sind. 

 

Ist es dann nicht als wahrscheinlich anzunehmen, dass der Ort "Moers" damals nur aus der Siedlung bestehend, die später Buitenderp genannt wurde,  im Jahr 900, also im Jahr der Erstellung des Werdener Registers, den Ortsnamen "Moers" oder "Murse" überhaupt nicht trug? War dann das, was später zum "Buitenderp" wurde, eben nicht Moers, sondern vielleicht: "Anheri", oder "Gelleron", oder "Lendinghem"?

 

Das wäre immerhin eine logische Erklärung dafür, weshalb die Größenangabe in diesem Register aus der Zeit um 900 für Murse - vergleichsweises - ein solch geringes Ausmaß darstellt: "quintus dimidius" (5 1/2) Mansi. Zum Vergleich:

 

Friemersheim 30 Mansi

Asterlagen: 12 Mansi

Rumeln: 20 Mansi

Asberg: 10 Mansi

Oestrum 9: Mansi

 

Diese Vergleiche deuten mit Macht darauf hin, dass es bei dem Murse, das hier gelistet ist, es sich eher um einen Einzelhof (Strommoers?), als um eine Siedlung handelt. 

 

***

 

Diese Spekulationen öffnen den Weg für den Gedanken, dass Dietrich Herr von Moers, der im Jahr 1160 als Sohn von Friedrich von Vianden und Elisabeth von Salm geboren wurde, Besitzer eben nicht dieses Moers, von dem man heute ausgeht, sondern zum Besitzer von Strommoers wurde. Dieses würde zumindest auch  die Konfliktfreiheit erklären, die  zwischen den Herren von Friemersheim und dem neuen Moerser Grafengeschlecht existierte.  Zum Zeitpunkt des Auftretens der Grafen von Moers, befand sich ja das Gut Strommoers dann ja schon nicht mehr im Bezirk der Herrlichkeit Friemersheim, da es ja bereits 1003 in eine neue Besitzerschaft im Deutz-Kölner Raum übergegangen war.

 

Nun ist eines überhaupt keine Spekulation und überhaupt nicht zu leugnen: Spätestens ab dem 13. Jh. trägt die Siedlung "Buitenderp" und das sich südlich davon angrenzende Siedlungsgebilde den Ortsnamen "Moers", unabhängig davon, ob es sich dabei ursprünglich  um "Anheri", Gelleron", "Lendinghem", oder vielleicht doch "Murse" gehandelt hat.  Nur, wenn der Ortsname "Murse" nicht zutreffend war, worauf ja das Werdener Register aus dem Jahr (um) 900 hindeutet, dann muss es eine logische Erklärung dafür geben, dass sich an dieser Stelle dann (weit nach dem Jahr 900) der Ortsname "Moers"  für Moers festsetzte.

 

Eine solche Erklärung finden wir in der Möglichkeit eines Umzugs der ersten Grafen von Moers (fort von Strommoers) hin zu dem Ort, dem sie dann ihren Namen verliehen. In diesem Zusammenhang haben wir uns an die Urkunde #161 aus dem Jahr 1288 aus dem Urkundenbuch zu erinnern.

 

"Die Abtei Werden verkauft um 37 Mark, 6 Schillinge den Edelherren Ritter Dietrich und Friedrich von Moers ihre in Mörs (in villa Moers) gelegenen und zu ihrem Hofe Asterlagen (Asterlo) gerörigen Besitzungen, von denen sie jährlich 4 Malter Weizen, 2 Malter Hafer und 20 Schillinge bezog."  Diese Besitzung wird allgemein als die angesehen, auf der die Burg entstand. Dass die Entstehungszeiten von Motte und Burg früher datieren, muss dazu keineswegs im Widerspruch stehen, da es schon vor diesem vollständigen Eigentumsübertrag eine Lehensnutzung dieses Geländes durch die Grafen von Moers gegeben haben kann. 

 

Den Anlass zur räumlichen Veränderung von Strommoers aus (wenn diese These haltbar ist), mag dabei die massive geologische Veränderung gegeben haben, die für beide beteiligten Örtlichkeiten erhebliche Veränderungen mit sich brachten. Dabei ist hier insbesondere das Abschneiden von Strommoers von seiner Hauptverkehrsader, dem Rhein von Gewicht. Ebenso hat dieser geologische Prozess der Rheinverlagerung und der damit verbundenen Verlandung des Altreinarms im Moerser Raum Auswirkungen gehabt. Diese bestanden im Hinzugewinn von "Neuland", also von einem Areal, das sich seit der Zeit um 900 in die Richtung einer Besiedlungsfähigkeit entwickelte.